Geliebt, Gehaßt und zum Glück am Ende verziehen!

 

 

Eigentlich hätte ich mehr schreiben müssen, mehr Nachrichten beantworten, mehr dies, mehr das, … aber es kommt nicht immer wie es soll. Das Schreiben ist keine lästige Pflicht, aber es gibt Dinge, die wichtiger sein können und davon gab es gleich ein paar. Und eines habe ich niedergeschrieben, weil es so gut zu dem Thema passte, was neulich noch auf Xing diskutiert wurde, nämlich was es eigentlich heißt authentisch zu sein.

 

Mir schien die Diskussion schwankte zwischen komplett man selbst zu sein und die wichtigen Dinge im Leben nicht zu vergessen. Mich ließ die ganze Zeit das Gefühl nicht los, dass man doch im Grunde genommen gar nicht - nicht authentisch - sein kann. Selbst derjenige, der sich verbiegt oder der der nicht alles gibt, der der lügt oder betrügt, ein Scheinbild von sich aufbaut oder der der eigentlich ein ganz anderer sein will, aber lieber mit der Masse schwimmt als er selbst zu sein oder wo die Außenbedingungen es nicht hergeben man selbst zu sein, zu bleiben – ist das nicht auch alles authentisch. Auf einen Außenstehenden kann es nicht stimmig wirken – nicht kongruent. Aber der andere tut nur gerade das, was er tun kann, weil die Situation es nicht anders hergibt oder er keine andere Möglichkeit sieht, je gelernt hat, … Wenn jemand auf uns unstimmig oder unglücklich wirkt, wissen wir nicht wie wir so einen Menschen nehmen sollen und das macht den Umgang miteinander dann auch so schwierig. Menschen, die stimmig rüber kommen, die verstehen wir, die sind greifbar, in sich logisch. Diese Menschen finden wir dann wohl authentisch und die unstimmigen eben nicht. Aber das was dieser Mensch, also eben auch der unstimmige, da gerade zeigt, ist das nicht genau das, was er gerade sein kann, selbst wenn er vielleicht davon träumt ein anderer zu sein.

 

Ich habe nicht mehr viele nahe Verwandte in Deutschland, genau genommen waren es bis Karfreitag noch zwei. Mein Onkel starb an diesem Tag, nicht unbedingt unerwartet auch nicht wirklich plötzlich, doch hatte ich es anders eingeschätzt, ich hatte nicht damit gerechnet. Die Nachricht, dass er verstorben war, erhielt ich als ich gerade sowieso in Deutschland war. Eigentlich hatte ich es nicht eingeplant vom Kohlepott ins tiefste Bayern zu fahren. Aber die letzte Ehre kann man nur am Tag der Beerdigung erweisen, also habe ich es gemacht. Freitagnachmittag nach der Schulmaßnahme los, 9 Stunden hin, die Straßen waren voll sowie mein Kopf ebenso wie mein Herz mit gemischten Gefühlen. Er war nicht so ganz ohne, mein Onkel. Er hat mir viel abverlangt und nicht nur mir. Er war ein echter Typ, noch so einer mit Ecken und Kanten und er konnte so verletzend wie auch nett sein. Samstags die Beerdigung und Sonntags dann 10 Stunden auf der Bahn wieder durch volle Straßen und Kopfwindungen zurück in den Kohlenpott, Montag ging die Schulmaßnahme weiter.

 

Es gibt Momente und Gelegenheiten, die bringt uns das Leben nur einmal, wenn man sie nicht nutzt ziehen sie vorbei und wenn man sich dann nicht selber verzeihen kann, dann bleiben sie als Stachel in unserem Herzen. Und wenn es „nur“ die Umarmung eines Menschen ist, den man nie wieder sehen wird oder ein Wort das man vergessen hat zu sagen, der Mut, der einem in einer entscheidenden Situation fehlte, den Frieden, den man nicht gemacht hat, ...

 

Mein Onkel gehört zu den wenigen Menschen, von denen ich sagen kann, dass er mir die gesamte Palette aller Gefühle abverlangt hat über Liebe, egal sein, Hass bis hin zur erleichternden Vergebung. Als Kind habe ich ihn geliebt, später fing er an mir egal zu sein und in der Zeit zwischen den paar Monaten in denen erst mein Pa und dann meine Oma, seine Mutter, verstarb, begann ich ihn abgrundtief zu hassen. In dieser Zeit hatte ich ihn von einer Seite kennen gelernt, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, so ungerecht, so kaltherzig, so gemein war er. Er hatte es drauf Leute für sich einzunehmen, dafür log er auch. Kaum war mein Pa verstorben, begann der Todeskampf meiner Oma, jeden Tag war ich bei ihr, er keinen und trotzdem hätte er es beinahe erreicht, dass ich nicht mehr zu ihr gedurft hätte. Zum Glück konnte ich es grade stellen und meine Oma hatte gar nichts davon mitbekommen. Hätte ich es nicht geschafft, ich bin mir ziemlich sicher, obwohl ich ein absolut friedliebender Mensch bin, dass ich keine 10 Stunden gebraucht hätte, um nach Bayern zu fahren, sondern maximal 5, egal welche Straßenverhältnisse ich vorgefunden hätte. Ich war damals so wütend, ich könnte noch nicht mal mit Sicherheit sagen, ob mir ein Wortgefecht gereicht hätte. Und das ist absolut nicht meine Art einen Konflikt zu lösen, aber in der Situation …

 

Jahre später ergab sich eine total schräge Erbsituation von einem ewig lang verstorbenen Großonkel, die sich irgendwie nicht so recht aufdröseln ließ, da hingen ein paar Erben dran, unter anderem auch er und ich. Es ging nicht vor und nicht zurück mit diesem Erbe, deswegen dachte ich mir, jetzt frag ich einfach mal alle, wo eigentlich das Problem liegt. Somit rief ich ihn dann an - nach Jahren des nicht mehr miteinander Redens mit einem leicht flauen Gefühl im Magen.

 

Über das erste Erstaunen hin, kommen wir ins Gespräch. Und dann sagt er was, was ich fast bis heute nicht glauben kann, dass er es gesagt hat: „Ach Bettina, weißt Du, ich muss jetzt nicht mehr lügen!“ Wow, mit diesen Worten hatte ich nicht gerechnet. Alles hatte ich erwartet, aber das eben nicht. Ich hatte kein Interesse gehabt alte Geschichten zu klären, ich wollte nur dass wir nach 5 Jahren diesen Erbfall vom Tisch bekommen. Dass es passieren könnte, dass er mit einer Aussage alles wegwischen könnte, was Jahre lang zwischen uns stand, hätte ich vor dem Gespräch im Leben nicht geglaubt.

 

Er erzählt und erzählt, meine Tante ist mittlerweile längst verstorben, ihm selber geht es auch nicht gut, Krebs hat er, Endstadium. Geheiratet hat er nochmal, so richtig erwischt hatte es ihn. Er kommt ins Schwärmen wie ein verliebter Teenager. Wie schön ;). Auf einmal glaube ich den Mann wieder zu erkennen, den ich mal gemocht habe. Ich kann sogar mit ihm zusammen lachen, gefühlt ist es hundert Jahre her, das wir mal zusammen gelacht haben – da war ich noch Kind. Am Ende fragt er noch, ob ich seine Schwester also meine Ma nicht mal fragen kann, ob sie miteinander reden könnten. Ich verspreche es ihm, dass ich es versuchen werde. Meine Ma hat das Gespräch mit bekommen, mich erwartet ein tränenreiches Gesicht und viel Gezeter, wie ich mit diesem Mann nur lachen kann. Es dauert noch eine ganze Weile bis sie mit ihm redet, aber sie tut es. Blut ist eben doch dicker als Wasser.

 

Na ja, und am 13.04. (das wollte er so, die dreizehn war immer seine Glückszahl) sitze ich nun in der Aussegnungshalle zu seinem Urnenbegräbnis und höre mir die Reden an, die sie über ihn halten und hier und da kann ich innerlich nicken. Soweit ist alles okay, aber dann spielt der Saxophonist „I dit it my way“. Ja, das war es dann, von wegen Indianer kennt keinen Schmerz und öffentliches heulen mag die Frau Knierim nicht. Die Emotionen sind stärker, es zerreißt mich und die Tränen nehmen ihren Lauf. Es ist auch schon immer eines meiner Lieblingslieder gewesen und für ihn ist es so verdammt passend. Während ich so vor mich hinheule, schießt mir der Gedanke in den Kopf: „Du verdammter Sausack (alle unter Euch, die so wie ich aus dem Kohlenpott kommen, wissen wie es gemeint ist) nie wieder werde ich dieses Lied hören können ohne dass ich Pipi in den Augen habe!“ Mein Gott, wirklich dieser Sausack, wie viele Tränen hat meine Oma und meine Ma um ihn geweint. Er hat sie nicht gesehen, aber ich. Alle drei haben sie sich nicht gut getan, nach vorne wurde gebissen und nach hinten wurde geheult. Am Ende des schmerzreichen Weges löst sich für mich das Rätsel endlich auf. Seiner neuen Frau hat er erzählt, dass er immer geglaubt hat, dass meine Oma immer meine Mutter bevorzugt hat und das aberwitzige meine Ma hatte es immer so empfunden, dass meine Oma ihn bevorzugt hat. Mamma mia!

 

Ich habe meine Oma von ganzem Herzen geliebt und sie mich auch, mit mir hat sie das gelebt, was sie glaube ich gerne mit ihren Kindern gelebt hätte. Ging aber nicht. Meine Ma wurde 1939 geboren, mein Onkel 1941, mein Opa, ihr Mann gehörte zu denen, die mit nach Rußland mussten und da blieb er dann auch über Jahre in Gefangenschaft. Er gehörte sogar zu denen die zurück kamen. Aber in den Jahren, wo sie jemanden an ihrer Seite gebraucht hätte, da musste sie alleine gucken, wie sie die Familie, nämlich ihre Eltern und ihre Kinder durchbrachte. Gerockt hat sie wie blöd, trotzdem war oft genug nichts zu essen da. Einmal ausgebombt. Alles verloren. Wieder von vorne angefangen.

 

Die Liebe ... die war irgendwo in den Trümmern geblieben. Wenn ich ihr zuhörte dachte ich immer,“ Wow“ und zog den Hut vor ihr, aber nun war ich ja auch nicht das kleine Mädchen, dass in einer Bombennacht nach einem Schuh des Bruders suchte, sie hatten ja oft genug nur noch das was sie am Leib trugen und wenigstens das wollte sie erhalten, der Junge sollte ja nicht im Winter mit nur einem Schuh rumlaufen, die Angst der „Großen“ hatte sie in dem Moment mal grad nicht im Blick, noch war ich der kleine Junge, der vor lauter Hunger weinen und schreien musste und dafür von ihr geschlagen wurde, weil ihr die Nerven blank lagen, weil sie eh kaum noch wusste wie sie alle durchfüttern sollte. Und nicht annähernd kann ich nachvollziehen, was es geheißen haben muss, in dieser Zeit zwei Erwachsene, einer davon krank - Parkison, zwei kleine Kinder und irgendwie ja auch sich selbst durchzubringen. Noch kann ich nachvollziehen, was es heißt in so einem Ambiente und dann noch mit so wenig Liebe groß zu werden. Geschweige denn, dass ich mir ein Urteil darüber erlauben könnte, dass da irgendwer irgendwo irgendwas hätte anders machen können oder sollen.

 

Aber mit einem bin ich mir sicher, was im Nachgang geholfen hätte: REDEN! Miteinander nicht übereinander, REDEN! Wie schön wäre das gewesen, wenn Mutter, Tochter und Sohn nach Jahren des Missverstehens sich noch einmal an einen Tisch gesetzt hätten, um miteinander darüber zu reden, was sie alle gleichermaßen verletzt hatte. Hat nicht geklappt! Die Menschen reden über so vielen belanglosen Scheiß, streiten sich über Dinge, wo es wirklich für das Fortleben absolut unerheblich ist, wer da nun recht hat oder nicht, aber das was wirklich auf der Seele brennt, was ihnen gut tun würde es zu sagen, das kommt so vielen nicht über die Lippen. Aber auch das gehört so ganz authentisch zu uns, es gibt ein paar die es können, dann gibt es die, die es wollen, aber nicht schaffen und dann gibt es die die es gar nicht mehr merken, was ihre Seele beschwert. Jeder macht es ganz auf seine Weise. Das ist wohl das was uns alle vereint, jeder von uns kann am Ende sagen: I did it my way! Sein Ding machen, egal wie stimmig oder unstimmig, die anderen einen finden und die die einem am Herzen liegen nicht vergessen, das wär schon nicht so schlecht.

 

A few regrets we have it all, bacio zio, un giorno ci vediamo e facciamo una bella chiacchierata

 

I did it my way

 

And now the end is near

And so I face the final curtain

My friend, I'll say it clear

I'll state my case of which I'm certain

I've lived a life that's full

I've travelled each and every highway

and more, much more than this

I did it my way

 

Regrets I've had a few

But then again too few to mention

I did what I had to do

And saw it through without exemption

I planned each chartered course

Each careful step along the by-way

And more, much more than this

I did it my way

 

Yes, there were times

I'm sure you knew

When I bit off more than I could chew

But through it all when there was doubt

I ate it up and spit it out

I faced it all

And I stood tall

And did it my way

 

I've loved, I've laughed, and cried

I've had my fill, my share of losing

And now, as tears subside

I find it all so amusing

To think I did all that

And may I say, not in a shy way

"Oh no, oh no, not me

I did it my way"

 

For what is a man, what has he got?

If not himself then he has naught

To say the things he truly feels

And not the words of one who kneels

The record shows I took the blows

And did it my way

 

Yes, it was my way